Der Autor hat zu Lebzeiten umfassende Kenntnisse in seinen vielen Geschichten über die Lebens- und Arbeitswelt unserer bäuerlichen Vorfahren bewiesen. Der 2005 im 87. Lebensjahr Verstorbene war zwischen 1969 und 1971 Erster Bürgermeister der alten Gemeinde Bockhorn sowie Gemeindeoberhaupt nach der Gebietsreform in den Jahren 1972–1978.

Heißes Feilschen um jedes einzelne Trumm Prügelholz – sichern des einst wichtigsten Brennstoffes

Es war ein guter Entschluss gewesen, dass er etliche Jahre vor der Hofübergabe an seinen Sohn, sich am Rande des großen Obstgartens ein solides Austragshaus hatte errichten lassen. Das dachte der Heimerbauer von Dillhofen so oft er davorstand und es wohlgefällig betrachtete. Er und seine Ehefrau, Jahrgang 1919 und 1924, hatten es gut darin – nicht vergleichbar mit dem spärlichen Austrag und dürftigen Wohnverhältnissen, in denen seine Eltern ihren einfachen Lebensabend verbrachten. Und vor allem genoss man an kalten Tagen die wohlige Wärme im ganzen Haus, das warme Wasser, jederzeit verfügbar in ausreichender Menge für Küche und Körperpflege. Und das alles zustande gebracht von einer automatischen Ölheizung im Keller. Damals, wenn seine Mutter warmes Wasser brauchte, konnte man es nur aus dem im Küchenherd eingebauten Wassergrand entnehmen, eine Waschschüssel voll, mehr nicht. Ganz zu schweigen, vom Gang zum „Häusl“ am anderen Ende des Hofes, meist nicht weit weg vom Misthaufen, zwecks einfacher Entleerung. War das Wetter einmal gar zu schlecht, die Kälte zu grimmig, die Nacht zu schauderhaft, ja dann musste man eben am nächsten Tag mit dem „Pottschamperl“ den gleichen Weg nehmen, um die Ereignisse der Nacht zu beseitigen. Damals – zu Beginn der Fünfziger  - war der Alltag eben noch nicht so komfortabel. Deshalb konnte auch die größte Menge an Brennmaterial nicht telefonisch oder per E-Mail geordert sonders musste anderweitig angeschafft werden: über die Holzversteigerungen. Ein Waldbesitzer im Holzland nahm einen größeren Holzeinschlag vor und machte das „Überholz“ und die Stöcke, nicht das Stammholz, auf diese Weise zu Geld. Diese Holzversteigerungen wurden mit Plakaten angekündigt. Als der Heimer eines Sonntags in die Kirche ging, sah er neben der gemeindlichen Anschlagtafel ein großes gelbes Plakat, das mit schwarzen Lettern verkündete:

„Am 7. November 1951 nachmittags 2 Uhr kommen aus der Dax-Waldung, Gemeinde Bockhorn, bei Riedersheim nachstehende Holzsorten zur öffentlichen Versteigerung: 31 Ster Scheit- und Prügelholz, 6 Stangen-Haufen, 43 Wiedhaufen, 30 Stangen, 16 Los Stöcke im Boden.“

Diese Plakate hingen nicht nur in der jeweiligen Gemeinde aus, sondern auch in den umliegenden Ortschaften wie Grucking, Tittenkofen, Langengeisling, Eichenkofen, sogar noch in Eitting – alles Dörfer, in denen nicht viel Brennholz zu finden war. „Wied“, das sind die Äste von Fichten und Tannen. 1 Ster ist ein Raummaß, 1mx1mx1m für aufgeschichtetes Brennholz entspricht etwa 0,65 cbm. „Des muaß i mir anschaun“ dachte der Heimer, und war am nächsten Tag schon im Holzschlag und besah sich das Angebot. Alles war sauber aufgearbeitet worden. Das Stammholz nicht zu knapp über dem Boden abgeschnitten, sodass am Stock noch eine Scheitellänge blieb.

Der Wied fiel nicht zu stark an, es war halt ein geschlossener Baumbestand gewesen, mit langen „schleißigen“ (langsam sich verjüngenden) Bäumen. Nur die Randbäume, auf einer Seite dem Wind und Rauhreif zugewandt, zeigten lange dicke Äste mit hohem Brennwert. Diese waren bei der Versteigerung immer recht begehrt, auch vom Zimmerer „Mooshäusl“ der aus ihnen die besten und zähesten „Spritzl“ (Sprossen) für seine Holz-Leitern anfertigte. In jedem, von den Waldarbeitern von Hand mühsam zusam-mengetragenen Wiedhaufen steckte ein „Stempen“ (zugespitzter Pflock) der am oberen Rand so abgeplattet war, dass man eine Zahl anschreiben konnte. Wenn z. B. die Zahl 4 zweimal erschien, so hieß das, dass diese zwei Haufen in einem Los versteigert wurden. Bei den Stöcken verfuhr man ähnlich. Mit ei-nem Nummerierhammer, mit dem auch das Stammholz gekennzeichnet wurde, schlug man auf den Stock eine Zahl und fasste, ähnlich wie beim Wied, mehrere Stöcke zu einem Los zusammen, je nach Stärke der Bäume, die darauf gestanden hatten.

Genauso zeichnete der Holzhauer das Scheit- und das nicht ganz so teuere Prügelholz. Wenn in der Nähe des Holzschlages noch eine Durchforstung gemacht und in die Versteigerung einbezogen wurde, stapelte man die schwächeren Stangen mit dem Wied auf Haufen und bot sie so zum Kauf an. Die stärkeren, entasteten fanden als Gerüst- und Einbindstangen immer einen Käufer. Mit „Einbindstangen“ wurden früher die Viehweiden, vor allem die „Jahrlingswoadn“, wo die jungen, jährigen Pferde sich austoben konnten „eingebunden“, also eingezäunt.

Die Abwicklung des ganzen Geschäftes lag damals bei uns in den bewährten Händen des „Brunner Steffe“. Er war ein Hochangesehener Mann und genoss das unbedingte Vertrauen von Verkäufer und Käufer. Stefan Brunner, Haumeister und Waldaufseher, Großhündlbach, Post Grünbach, steht auf der Rechnung, die er 1951 dem Waldbesitzer Dax stellte, als er das Holzgeschäft abwickelte. Ihm oblag es, den Schlag aufzunehmen, das Stammholz zu vermessen und es nach den bestehenden Richtlinien einzuordnen. Ebenso wurden die Wiedhaufen ihrem Wert nach eingestuft und für die Versteigerung der Grundpreis in eine Liste eingetragen. Genauso verfuhr er mit den Scheitern und Prügeln. Dann mussten in den umliegenden Dörfern die Versteigerungsplakate mit den nötigen Angaben ausgehängt werden, für jede Versteigerung in einer anderen Farbe, damit jedem augenfällig klar wurde: „Aha, des is wieder a andere!“

In den Tagen bis zum Ausgebot herrschte am Schlag ein reger Verkehr. Die Interessenten kamen meist mit dem Fahrrad, Autos waren noch selten. Sie schauten sich das Angebot an, gingen von einem Wiedhaufen zum anderen, prüften das sauber gespalten und gestapelte Scheitholz. Man legte sogar den Meterstab an, ob wirklich alles seine Richtigkeit hätte. Dann kam der Tag der Versteigerung. Die gemütliche Gaststube beim Wirt füllte sich mehr und mehr mit Gästen. Bier wurde aufgetragen und der eine oder andere zündete sich seine „Villiger Stumpen“ an, eine damals sehr beliebte Zigarrenart. Die Unterhaltung kam in Fluss, es wurde hin und her geredet und dass es halt wichtig wäre, wenn das Stammholz bald „ausg´schloaßn“ (ausgerückt) würde, damit man an den Wied usw. gut hinkäme und wenig Mühe mit dem Beladen und der Abfuhr hätte. Die Lage an der Straße wäre ja gut, das sei schon mal wichtig.

An einem einzelnen Tisch saßen der Versteigerer und der Besitzer vor ihren Unterlagen. „Jetzt moan i kunnt ma ofanga,“ schlug der Steffe vor, „mehra wern nimma kemma“. „Mir is recht, dann wird´s ned so spät. D´Leit wolln danach a no a wenig sitz´n bleib´n“ pflichtete der Eigentümer bei. Der Versteigerer stand auf, begrüßte die Gäste und gab der Hoffnung Ausdruck, dass alles gut laufen und jeder zufrieden sein möchte. „Also, Ihr wißt´s ja um was geht. Beim Wied wird auf´s Angebot um a Zehnerl draufg´steigert, bei de Stöck, Scheiter und Prügel um a Fuchzgerl. Beim Wied is a so g´richt, dass oa Los allweil a Fuada gibt, drum ham zwoa oder drei Haufa manschmal de gleiche Nummer.

Abfuhrtermin is da 7. Dezember, bloß für d´Stöck habt´s Zeit bis 1. März. Dann muaß alls heraust sei, s`Loch ordentlich zuagfüllt, dass ma Boschn draufsetzn kennan. Außaschiaßn von de Stöck is ned erlaubt.“ Gemeint war damit das Heraussprengen eines Stockes durch einen dafür geschulten Sprengmeister mit großkörnigem Schwarzpulver. Dass das natürlich die Arbeit des „Stockraitens“ (roden) sehr erleichterte, war nicht von der Hand zu weisen. Oft wurde der Stock dabei gleich in mehrere Stücke zerlegt, die sich dann leichter verladen ließen. Aber wenn die Ladung zu stark war, flogen nicht nur die Trümmer sondern auch die Erde, in der der Stock verwurzelt war und die fehlte dann, um das Loch wieder zu verfüllen.

Es blieb eine Vertiefung, in der sich das Regenwasser sammelte und die Feuchtigkeitsliebenden Binsen wachsen konnten. Den „Boschen“ behagte das nicht, sie brauchten zwar Feuchtigkeit zum einwurzeln aber kein immer wiederkehrendes Fußbad. War die Ladung zu schwach, gab es nur einen dumpfen „Rummser“ und der widerspenstige Stock blieb recht behaglich in seinem Bett sitzen. „Ja mei“, hat bei so was der Maurer Fritz – den Sommer über fleißiger Zimmerer und im Winter Stock-Sprengmeister – gesagt, „s´Wissen hät ma vorm Beten lerna müassn, dann tat ma se a diam (manchmal) leichter.“ „Und jetzt fang ma mit´m versteigern o, als erstes mit´m Wied,“ sagte der Steffe.

Nr. 1        2 Haufen                 Tax          9,00 DM                   Käufer:    13,00 DM

Nr. 2        2 Haufen                 Tax          9,00 DM                   Käufer:    10,60 DM

Nr. 6        2 Haufen                 Tax          9,00 DM                   Käufer:    11,20 DM… usw.

Die Angebote wurden bedächtig abgegeben, alles gut überlegt ob es auch wert war, dass man noch ein Zehnerl drauflegte! Alle 43 Haufen wurden abgesetzt, keiner musste ein zweites Mal ausgerufen werden. „Wenn´s a so weitergeht, kennan mir z´frieden sein,“  meinte der Waldbesitzer. Immerhin, die Summe der Aufwurfpreise war 188,-- DM, der Erlös belief sich auf 275,90 DM.

„Jetzt pack ma d´Stöck, danach d´Scheiter,“ sagte der Haumeister. Die Stöcke ergaben insgesamt 16 Lose mit durchschnittlich 6 Stück pro Los. Daraus konnte man sehen, dass das Stammholz nicht besonders stark gewesen war, dafür aber waren sie auch leichter zu roden.

Nr. 1        7 Stück                    Tax          15,00 DM                Käufer:    22,50 DM

Nr. 2        6 Stück                    Tax          14,00 DM                Käufer:    24,50 DM

Nr. 3        6 Stück                    Tax          16,00 DM                Käufer:    26,00 DM

Und so ging es recht zügig weiter. Einige Partien waren recht lebhaft umkämpft und überschritten den Aufwurfpreis beträchtlich. Ob der Ausdruck

„stocknarrisch“ (hartnäckiges Handeln) hierbei einmal seinen Ursprung fand? Der Erlös konnte sich auch hier sehen lassen. Veranschlagt: 208,-- DM, eingenommen: 328,50 DM. Auch die Scheiter und Prügel fanden reges Interesse. Es wurde halt doch beachtet, dass man dieses Holz mit wenig Mühe sofort abfahren und aufarbeiten konnte. Es haben z. B. gesteigert:

Los-Nr. 37                               2 Ster      Tax          36,00 DM                Käufer     42,50 DM

Los-Nr. 38                               2 Ster      Tax          36,00 DM                Käufer     44,50 DM

Los-Nr. 50                               2 Ster  Prügel          30,00 DM                 Käufer     42,50 DM… usw.

Hier waren veranschlagt: 526,-- DM – erlöst wurden: 623,-- DM.

Jetzt waren noch 4 Stangenhaufen aus der Durchforstung nebenan, ein schwächeres Sortiment, an den Mann zu bringen. Auch sie fanden ihre Abnehmer. Bei einem Stückpreis von 2,-- DM für die Stange und 10,-- DM für einen Stangen-Haufen waren alle zufrieden und der Haumeister beendete seine Versteigerung. Anschließend ging jeder Käufer zum Waldbesitzer, um sein Ersteigertes gleich zu bezahlen. „Oans muaß i no bekannt geben“, so der Steffi „weil´s alle so guat g´steigert habt´s, halt der Verkäufer am alten Brauch fest und lasst die herkömmliche „Stockmaß“, und zwar zwoa Krüag, auf jeden Tisch hinstellen und oamoi derf da Wirt no nachschenkn“. Mit beifälligem Nicken wurde die frohe Botschaft angenommen und die Sitzfleische in der Gewissheit einer längeren Beanspruchung in die richtige Lage gerückt. Es galt ja auch, Kraft aufzutanken für die schwere Arbeit, die in nächster Zeit folgen musste. Es geschah schon, dass eine Runde länger sitzen blieb. Es war halt zu gemütlich, auch an einem Werktag mal im Wirtshaus zu bleiben, sein Bier zu trinken und über dies und jenes zu reden. „Wia war´s, wenn mir no a Maß auswatten tatn,“ schlug einer vor und bald darauf klatschten die Karten auf den Tsich, zeigten die „Kritischen“, also Spitz, Belle und Max, - Eichelsiebner, Schellnsiebner und Herzkönig – ihre beherrschende Stellung. Am anderen Tisch saßen noch der Brunner Steffe und der Waldbesitzer zusammen und rechneten ab. „Guat is ganga, hät´s ned glaabt. Neile, z´Rappoldskirch is zach herganga. Freili, dei Holz liegt a schee an da Straß und ma braucht ned so weit fahr´n. Grad für de Häuslmanna mit eahnane Ochseng´schpann spielt des scho a Rolln. Und des hat se a wieda bewahrheit, d´Stöck und da Wied müaß´n d´Holzarbeit zahl´n.

Da hab i für dich d´Rechnung.

Aufarbeiten eines Waldhiebes:

82 fm Grubenholz       a              3,50 DM                   287,00 DM

43 Wiedhaufen          a              0,70 DM                    30,10 DM

31 Ster Brennholz       a              3,00 DM                    93,00 DM

6  Stangenhaufen      a               4,00 DM                    24,00 DM

30 Stangen               a               0,90 DM                    27,00 DM

Aufnahme, Verrechnung, Plakate 75,00 DM                 536,10 DM

20 % Versicherungskosten        107,20 DM =              643,30 DM

„Für d´Stöck und an Wied hast 604,-- DM eing´nommen, also geht’s es naus! S´Stammholz konnst halt wegen de Granatsplitter nur ois Grubenholz verkaufn, weil da Sagler des ned zu Bauholz schneid´n kann.“

(Splitter von Granaten, ja wie kamen denn die in die Bäume? Im vorletzten Kriegsjahr hat ein amerikanischer Bomberverband über diesem Waldgebiet seine furchtbare Fracht abgeladen. Die Splitterbomben haben dem Wald arg zugesetzt. Die Bäume, die es überlebten, bluteten jahrelang an den Einschlagstellen der scharfkantigen, daumennagelgroßen Stahlsplitter Harz aus. Hier drang Feuchtigkeit ein und die Bäume fingen zu faulen an.)

Die Versteigerung war also vorbei. Das Wetter war trocken, ohne Frost und so sah man am nächsten Vormittag schon Leute auf dem Weg zum Holzschlage. Die Einen, die den Stöcken zu Leibe rücken mussten, kamen mit dem Fahrrad, die lange „Wiagnsag“ (Zugsäge) hatten sie zum Schutz gegen die scharfen Zähne mit einem alten Getreidesack umwunden und der Länge nach an´s Radl gebunden, im Rucksack waren verstaut die Holzhacke, Keile und Brotzeit. Dazu war am Gepäckträger die unverzichtbare, langstielige „Raithau“ mit der Quergestellten breiten Schneide, ein Spaten und die schwere „Schlegelhacke“ befestigt. Die Anderen, die bei den derzeit trockenen Wegverhältnissen ihren Wied nach Hause bringen wollten, mussten schon früh einspannen, um vor Einbruch der Dunkelheit mit der Fuhre wieder daheim zu sein. Am Holzplatz selbst achtete man sorgfältig darauf, dass der Wagen zum Beladen auf gutem festen Straßengrund stand, denn die schmalen eisenbereiften Holzräder schnitten bei Belastung allzu leicht tief in den Boden, sodass ihn auch die stärksten „Eunuchen“ (Ochsen) mit ihren dicken Köpfen oft nicht mehr herausbrachten. Da hat man halt den Wied, Ast für Ast, lieber selbst  zum Wagen getragen. Jetzt ging es im Holzschlag zu wie in einem Ameisenhaufen. Überall wurde gewerkelt, um das Ersteigerte bald nach Hause zu bringen. Daheim trat wieder Keil und Schlegelhacke in Aktion, fraß sich die Zugsäge durchs Holz, war Ausdauer und „Irxnschmalz“ (Schulterkraft) noch mal gefordert. Die zähen, widerspenstigen Stöcke kosteten viel Schweiß, sie gaben aber auch das beste Brennholz ab. Nicht umsonst sagte man.

 

Das Missgeschick mit dem Heiland

 

Ein kirchliches Ereignis, das besonders in unserer Pfarrei mit großem Gepränge gefeiert wurde, weit über die Pfarrei hinaus bekannt war und viel Zuspruch fand, das waren die Fastenpredigten an den sechs Fastensonntagen vor Ostern. Dazu wurden die Kirchenfenster mit schwarzen Tüchern verhangen.

Es herrschte auch bei mildem Märzwetter eine frostige, dunkle Kühle im Kirchenschiff. Die Gläubigen trugen dunkle Kleider, die Frauen langseidenen Kopftücher und wir Buben die Dreiquartel-Hosen mit schafwollenen Strümpfen. Das große Altarbild war im Hochaltar versenkt worden. Statt dessen sahen wir mit Bangen Jesus kniend im langen blauen Mantel am Ölberg, die Hände gefaltet, den Blick nach oben gerichtet, ein schmalsicheliger Mond schwebte im Hintergrund und der Organist Staudacher Schorsch intonierte auf der Orgel das Ölberglied: „Gethsemane zu deinen Höhen erhebet dankend sich mein Herz …“.

Wortgewaltige geistliche Herren kamen auch aus anderen Pfarreien und rüttelten das Gewissen ihrer Schäflein unten in den Kirchenbänken so gewaltig auf, dass ein Einnicken, das bei der herrschenden Dunkelheit in der Kirche so leicht gewesen wäre, nicht zu Stande kam. Nach der Predigt dann die Ölbergandacht und der Höhepunkt der ganzen Zeremonie: Die Heilandsfigur im Hochaltar begann sich nach vorne zu neigen und ging bis zum Boden nieder. Das geschah dreimal hintereinander und symbolisierte das Leiden unseres Erlösers in der Nacht vor seinem Tode. Beim dritten Mal schwebte dann ein Engel aus dem nachtdunklen Himmel hernieder, der ihm den Kelch des Leidens darbrachte. Er kam aber nie ganz zum Heiland hin und ich hatte den Eindruck, dass der Engel schiele. Wie froh waren wir, wenn die Kirche nach eineinhalb Stunden endlich zu Ende war und wir in die Wärme und Helligkeit eines Vorfrühlingstages hinauslaufen konnten. Die Schar der Gläubigen in ihren dunklen Gewändern strömte sodann eiligst vom Ort der Erbauung – so hoffte wenigstens der Herr Pfarrer – zum Ort der Erquickung, nämlich ins naheliegende Wirtshaus. In kurzer Zeit füllte sich die Gaststube im Erdgeschoss, aber sie reichte nicht aus, auch die Zechstube im Obergeschoss war bald voll mit Gästen. Der Wirt hatte gut vorgesorgt. Bier in irdenen Keferlohern und gläsernen Halbe-Krügln, dunkel und süffig, stand bald auf den Tischen. Dann kamen, und das nur an diesen Fastensonntagen, sonst das ganze Jahr nicht, die Laugenbrezen, eine Köstlichkeit, auf den Tisch. Wir Buben mussten sie beim Bäcker nebenan waschkorbweise holen, so reißenden Absatz fanden sie. Fünf Pfennig hat eine gekostet und für diese Rarität hat man gern eine Fastenpredigt bei einem Ohr rein beim andern raus gehen lassen. Wenn man sich heute vorstellt, dass man nur sechsmal im Jahr diese Laugenbrezen bekam! Uns Buben hat aber so eine Ölbergandacht trotz allem interessiert. Das feierliche Dunkel in der Kirche, das andachtsvolle Beten der Erwachsenen, besonders auf der Frauenseite und dann, wie schon gesagt, wenn leises Knarren ankündigte, dass der Heiland sich vornüber neigen wird. Das hat uns in den ersten Jahren schon sehr beindruckt und mäuschenstill werden lassen.

Da erübrigte es sich sogar, wie bei den anderen Gottesdiensten, dass der Kirchendiener mit gezwirbeltem Schnurrbart und strenger Amtsmiene hinter uns stand und bei uns schwatzhaften Buben für Ruhe sorgte. Wehe, man hätte den Kirchendiener ignoriert. Da ist sogar während der Messe der Watschenbaum umgefallen und mit hochroten Ohren hat der Betroffene gewünscht, die Kirche möge doch noch lange dauern, denn das wusste er: das in der Kirche war nur ein Vorspiel. Der Hauptakt der wird daheim gespielt, vom Vater und da bleibt es mit Sicherheit nicht bei einer „Dachtl“. Da konnte schon der erste Teil eines Kirchenliedes als Vorgabe dienen: „O Haupt voll Blut und Wunden“. Hatte man doch mit seinem schlechten Benehmen die ganze Familie getroffen, noch dazu in der Kirche. Das verpflichtete zur Strafe. Eines hat den Stocker Hias und mich sehr interessiert: Wie geht es zu, dass sich der Heiland, immer wenn der Mesner Staudacher hinter dem Altar verschwindet und der Pfarrer ein bestimmtes Wort spricht, langsam vornüberneigt? Das leise Knarren dabei hat die Sache noch geheimnisvoller gemacht. Dem mussten wir auf den Grund gehen: Eines Tages betraten wir beide das Haus Gottes. Wir vergewisserten uns zuerst, dass kein stiller Beter im Kirchengestühl saß, dann gingen wir auf Geldsuche. Und warum? Der Begriff Taschengeld war für uns Kinder damals noch nicht erfunden und wir hätten uns doch auch so gerne beim Kramer einen Waffelbruch gekauft. Fünf Pfennig hat er gekostet, aber woher die nehmen? Und so haben wir die Kirchenbänke abgesucht nach „Fuchsen“, Ein- und Zwei-Pfennigstücke, ab und zu wurden wir auch fündig. Grundlage dieser Goldgrube war der Brauch des Opfergehens. Es machte nicht der Mesner mit dem Klingelbeutel die Runde, sondern Männer und Frauen gingen im Opfergang zum „Speisgitter“ und legten ihr Opfer, die Fuchsen, in einen Zinnteller. Weil die Männer ihr Bargeld statt in einem Geldbeutel nur lose in der Hosentasche trugen, ist ihnen beim Herausklauben – im Bemühen ja keine Zweiring statt eines Pfennigs zu geben – schon mal ein Geldstück in die Kirchenbank gefallen. Aufheben, nein das ging nicht! Wie hätte das ausgesehen, wenn da Baua deswegen unter den Betstuhl gekrochen wäre. So kamen wir auf diese Weise hie und da doch zu einem Waffelbruch. Nachdem unser wirtschaftliches Unternehmen beendet war, gingen wir zum eigentlichen Zweck unserer nachmittäglichen Expedition über. Nochmal einen Blick rundum – die Luft war rein! Jetzt wollten wir uns hinter den Altar begeben, der uns in seiner stillen Pracht doch ein wenig Furcht einflößte. Wir nahmen all unseren Mut zusammen und schlüpften schnell hinter den Vorhang auf der rechten Seite des Altars. Hier war eine Leiter, die zu einer Bühne führte, und da stand, nein kniete der Heiland. Jetzt wär uns das Herz doch bald in die Hos´n gerutscht, so groß und ehrfurchtgebietend war die Gestalt im weiten, blauen, goldbesäumten Mantel. Der aber hat tüchtig gestaubt, als ihn der Hias zurückschlug, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Und dann war´s mit der Ehrfurcht vorbei, auch die Furcht war weg: Ein Lattengerüst mit aufgesetztem Kopf!

Wir bekamen Mut. Wir fanden den Strick, mit dem man den Engel, der über dem Heiland schwebte herunterlassen konnte. „Den lass ma amoi richtig fliagn!“ Er flog prächtig. Nun entdeckten wir eine Kurbel für den Heiland, die der Mesner schlecht geschmiert hatte und die deshalb das knarrende Geräusch verursachte. „De probiern ma a!“

Die Gestalt des Heilands, das Lattengerüst, begann sich zu neigen, langsam, feierlich. „Und iatz Hias, laß´n wieda aufsteh!“ Er tat es auch, langsam, gemessen. „Du, des geht a schnella!“ Tatsächlich, runter rauf! Wir dachten nicht mehr an die Heiligkeit des Ortes – noch mal runter und klacks – er ging nicht mehr rauf! „Probier´s no a moi, Hias, so ken ma den Heiland ned lass´n!“ Aber es ging nicht. Irgend etwas musste ausgerastet oder gebrochen sein. Jetzt kam auf einmal auch die Furcht wieder über uns. Wir sahen uns schon in der Hölle schmoren. Schnell rutschten wir die Leiter runter, rannten zur Kirchentür, warfen doch noch einen Blick zurück in der Hoffnung: Vielleicht ist er aufgestanden, er kann doch nicht so lang da liegen. Aber der Heiland lag noch immer. Was wird der Mesner, was der Pfarrer sagen? Wir trauten uns nicht gleich auf die Straße und schon gar nicht nach Hause.

Hinten im Friedhof, an den Grabstätten für die unschuldigen Kinder, saßen wir unter einem Hollerbusch und fassten langsam Mut: Der liebe Gott kann uns doch nicht so bös sein, sein Sohn war´s ja nicht. Es war ja bloß ein Lattengestell mit einem Kopf drauf! Vielleicht geht´s mit ein bisserl Fegfeuer ab. Daheim gab´s keine Strafe, die Eltern erfuhren nichts. Und der Mesner hat in der Wirtschaft erzählt, dass er den Heiland am Boden liegend fand, es hätte sich an der Kurbel was verschoben, das er aber wieder repariert hätte. Als wir diese frohe Botschaft hörten, fiel uns ein Stein vom Herzen und wir vergaßen Hölle und Fegfeuer.